Die Rezeption der Geschichte der „Oktoberrevolution“, des Bürgerkriegs und der Sowjetunion wurde über viele Jahrzehnte – in einigen Varianten der Stalinzeit und Nach-Stalinzeit – von der KPR (B), später der KPdSU gesteuert. Die westeuropäischen kommunistischen Parteien, die sich der 1919 gegründeten III.Internationalen (Komintern) anschlossen, standen unter direktem Einfluss der KPR (B). Viele Quellen und Dokumente blieben – oft mit deren Mithilfe – unter Verschluss und wurden der Öffentlichkeit vorenthalten. Im Westen dominierten ansonsten antikommunistische Sichtweisen, die große mitunter große Medienwirksamkeit erlangten. Jetzt, 100 Jahre nach den Geschehnissen, haben wir die Möglichkeit, uns auf einer breiteren Quellenbasis ein eigenes Urteil zu bilden und auf die hergebrachten „Erzählungen“ über die „Oktoberrevolution“ einen kritischen Blick zu werfen.
Das haben wir versucht und dabei immer wieder großen Wert darauf gelegt, Quellen und Dokumente vorzustellen, um ein eigenes Urteil der Hörer*innen und Leser*innen zu ermöglichen. Besonders die
letzten Sendungen
Vorbereitung auf die „Diktatur des Proletariats“ – Lenins
Schrift Staat und Revolution
Umsturz im Oktober – „Alle Macht den Räten!“ oder „Diktatur des Proletariats“?
Die ersten 100 Tage der Volkskommissare
werfen einen kritischen Blick auf die bisherige Rezeption.
Gab es – revolutionäre – Alternativen zum bewaffneten Aufstand der Bolschewiki?
Kann sich eine Revolution "demokratisch" legitimieren?
Wir haben versucht, vor allem in der Sendung – Umsturz im Oktober: „Alle Macht den Räten!" oder Diktatur des Proletariats? Vom 16.11.2017 – herauszuarbeiten, dass es durchaus
basisdemokratische, revolutionäre Alternativen zum bewaffneten Aufstand der Bolschewiki und zur Machtübernahme durch den „Rat der Volkskommissare“ gegeben hatte.
Die Orientierung der Bolschewiki unter dem Einfluss Lenins auf den bewaffneten Aufstand einer kleinen disziplinierten und entschlossenen Gruppe, widersprach der Losung „Alle Macht den Räten!“,
die Lenin und seine Anhänger schließlich aufgaben.
Nachdem die Provisorische Regierung mit Kerenski gescheitert war, lag es nahe, eine Übergangsregierung bis zu der vom ganzen Volk dringend erwarteten Konstituierenden Versammlung aus den
vorhandenen Räten heraus zu bilden. Auf nichts anderes zielte doch die seit Monaten von den revolutionären Kräften erhobene Losung: „Alle Macht den Räten!“ Dies hätte aber für die Bolschewiki
geheißen, eine Koalition mit anderen in den Räten repräsentierten, teils fest verankerten politischen Kräften zu bilden, vor allem mit den Menschewiki und den linken, in der Bauernschaft
verankerten Sozialrevolutionären. Die Bildung einer solchen, auf den Räten basierenden Koalitionsregierung wurde immer wieder, zuletzt auf dem II. Allrussischen Kongress diskutiert und
vorbereitet. Der parallel organisierte bewaffnete Aufstand der Bolschewiki und der darauf folgende Rückzug der Sozialrevolutionäre und der Menschewiki beendete diese Möglichkeit.
Und genau dies war Lenins Kalkül: Er wollte eine Regierungsübernahme durch die Bolschewiki mit ihm selbst als Regierungschef und nutzte die Situation nach dem Auszug der anderen, um den „Rat der
Volkskommissare“ vom immer noch formal beschlussfähigen II. Allrussischen Sowjetkongress per Akklamation bestätigen zu lassen.
Eine Alternative wäre eine auf dem Kongress gebildete Koalitionsregierung gewesen. Dies hätte letztendlich auch zu einer bewaffneten Machtübernahme und zur Verhaftung der Provisorischen Regierung führen können, dann aber mit einer breiteren Beteiligung sowohl des Volkes als auch der verschiedenen politischen Kräfte. Eine solche Regierung hätte es kaum nötig gehabt, all die hysterischen Maßnahmen zu ergreifen, wie die Aufhebung der Pressefreiheit, die Bildung der Tscheka und die vielfältigen Repressionen und Zwangsmaßnahmen, mit denen die Bolschewiki sich dann im Namen der „Diktatur des Proletariats“, im Grunde aber wegen ihrer zu schmalen Basis über Wasser hielten.
„Alle Macht den Räten!“ und die „Diktatur des (vermeintlichen) Proletariats“ sind entgegengesetzte, sich einander ausschließende Strategien.
Es gibt unserer Meinung nach schon eine Linie, die vom bewaffneten Umsturz, dem Verzicht auf eine auf den Räten basierenden Koalitionsregierung hin zum Ein-Parteien-System und zu immer weiteren
Repressionen gegenüber Andersdenkenden bis hin zum "roten Terror" führte. Dies gilt auch im Hinblick auf den Bürgerkrieg. Man trieb alle, die sich den Bolschewiki nicht anschlossen, aus dem Land
oder den Weißen direkt in die Arme. Aber das ist ein weiteres Thema ...
© Brigitte Forßbohm, Michael Forßbohm, Herderstr. 31, 65185 Wiesbaden, Tel (06 11) 30 94 33, info@brigitteforssbohm.de
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Helmut Frick (Donnerstag, 30 März 2023 12:00)
Lenin wollte Stalin nicht als seinen Nachfolger haben– er kannte seinen üblen Charakter und wußte, dass er Platons("der Staat")Erfordernisse für einen Staatenlenker nicht würde erfüllen können. das hätte Leo Trotzki gekonnt, den er dann in Mexiko durch einen seiner Schergen mit einem Eispickel hatte erschlagen lassen